Das Motiv im Wasserglas

In der Indie-Szene stürmt es ständig. Schon darüber, ob der Begriff gerechtfertigt ist und eine solche "Szene" überhaupt existiert, läßt sich trefflich streiten. Einige Kontrahenten beharken sich auf so vielen Plattformen, in so vielen Facebook-Gruppen so oft, daß selbst ich, die ich meist höchstens dazu komme, diese Auseinandersetzungen zu überfliegen, mir ihre Namen gemerkt habe. Da entstehen, scheint mir, so innige Feindschaften, daß die Gegner gar nicht mehr wüßten, wie sie existieren sollten ohne den geliebten Widersacher, bei dem sie sich darauf verlassen können, daß er ihnen aus Prinzip widersprechen wird, egal, was sie sagen. - Also alles fast wie in einer langjährigen Ehe.

Fakt ist: es bleibt üblicherweise ein Sturm im Wasserglas. Wenn es überhaupt etwas gibt, das die "Indie-Szene" als Ganzes kennzeichnet, dann die darin herrschenden inzestuösen Verhältnisse: Selbstveröffentlichende Autoren reden mit selbstveröffentlichenden Autoren über Dinge, die nur selbstveröffentlichende Autoren überhaupt wahrnehmen. Das fängt bei der Werbung an und hört auf bei den oben beschriebenen Meinungsverschiedenheiten.

Daß die "Außenwelt" überhaupt je auf die "Indies" aufmerksam wird, ist selten. Und meist ist der Anlaß kein schöner: der "Fall Gercke" war einer, und diesen Artikel im Buchreport kann man wohl auch dazu zählen. Darüber will ich auch gar nicht reden, dazu ist genug gesagt. Ich habe heute lediglich angefangen nachzudenken (Ah! Die Schmerzen!), als in mehreren "Indie"-Facebook-Gruppen Diskussionen über diesen neu ins Leben gerufenen Autorenpreis gestartet wurden.

Ich habe nämlich festgestellt, daß mich Preis wie Diskussionen völlig kalt lassen.

Natürlich nicht weiter verwunderlich, auif den ersten Blick. Zum Thema Marketingmaßnahmen habe ich schließlich Nullkommagarnichts beizutragen und käme auch in sonstiger Hinsicht für einen solchen Preis nie in Frage. Worüber ich mich viel mehr wundere: mit welcher Selbstverständlichkeit sich die Szene der "verlagsunabhängigen Autoren" sich den Gesetzen des Buchmarkts unterwirft - denselben Gesetzen also, denen die Verlage unterworfen sind.

Egal, wen man fragt: der "Markt" ist härter geworden, gerade auch für die Verlage. Sie haben versäumt, beizeiten zusammenzuhalten, und sich von den großen Filialisten und von Amazon auf der Nase herumtanzen lassen. Jetzt zahlen sie die Zeche (die Kleinen, die am wenigsten dafür können, wie üblich in höherem Maße als die Großen). Wo man früher etwa ein Drittel "Brottitel" hatte, also Stapelware, die man den Massen vorsetzen konnte und mit der man sich die Bücher finanzierte, die man wirklich machen wollte und bei denen man gar nicht mit großen Verkaufserfolgen rechnete, scheint heute alles nur noch auf den "großen Wurf" ausgerichtet. Ein Trend nach dem anderen wird probiert, ein Zug nach dem anderen fährt ab, auf den man dringend noch aufspringen muß. Noch der letzte C-Titel wird einzig und allein an seiner Verkäuflichkeit gemessen, und jeder hofft und betet, es möge sich im eigenen Programm ein "Harry Potter" finden oder ein "Schoßgebet", ein "biss"chen Morgengrauen oder wenigstens ein Schatten von "Grey". Damit packen wir's dann wieder für ein Jahr. Gibt es eigentlich noch so etwas wie eine Backlist?

Nun ist ein Verlag ein wirtschaftliches Unternehmen. Er muß Geld machen. So bedauerlich es ist, ich kann es verstehen, wenn mehr und mehr Titel produziert werden, in deren Zukunft die Verramschung ebenso fix eingeplant ist wie im Leben eines Weihnachtsbaums die Müllabfuhr. Aber ich, namen- und bedeutungsloser Hobby-Schreiber, habe gegenüber einem Verlag einen gewaltigen Vorteil.

Ich muß so nicht denken.

Und das ist genau der Aspekt, der mir in den ganzen "Indie"-Diskussionen vollkommen abgeht. In beinahe allen Themen geht es um Verkaufszahlen und Amazon-Ränge, Marketingmaßnahmen, die Bedeutung eines professionellen Lektorats und generell die eigene Außenwirkung. Wer viel verkauft, hat alles richtig gemacht. - Ach ja? Warum stellt eigentlich niemand mal heraus, was diese neuen kostenlosen Publikationsmöglichkeiten auch bedeuten: daß nun Liebhaberprojekte ohne wirtschaftliches Risiko umgesetzt werden können. Daß genau die Bücher, die früher ein Verlag über die "Brottitel" finanzieren mußte, heute vom Autor selbst publiziert werden können - selbst wenn die "Zielgruppe" nur aus zehn Leuten besteht? Daß ich, der ich mein täglich Brot mit einem frustrierenden Bürojob verdiene, nicht wie ein Verlag darauf angewiesen bin, überhaupt etwas zu verkaufen? Daß ich tatsächlich die Bücher machen kann, die mir (und notfalls mir allein) gefallen?

Die "Szene", so sie denn existiert, hat meines Erachtens inzwischen sehr viel von der Aufbruchstimmung und dem Spielerischen verloren, die sie zu Beginn gekennzeichnet haben. Nun will ich niemandem vorwerfen, wenn er sich für größere Professionalität (und bessere Einnahmen) entscheidet, Gott bewahre. Aber ich möchte auch nicht, daß mir, und sei es nur indiekt, ein Weg als der einzig wahre und richtige verkauft wird, auf dessen autobahnbreiten Asphaltwüsten sich derzeit schon Verlagswesen und stationärer Buchhandel zu Tode rasen.

Ich bitte also um nicht mehr und nicht weniger als die Erlaubnis, Amateur und Dilettant bleiben zu dürfen, bitte danke. Die Konsequenzen wird außer mir ja niemand zu tragen haben.

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