Doppelte Standards

Heute mal ein Erlebnis der literarisch anderen Art. Ich gehöre ja eigentlich zu den "gläubigen" Autoren; mein Vertrauen ins System unseres Literaturmarkts (Verlag wählt aus Vielzahl von Manuskripten gut geschriebenes Buch, macht perfekt geschriebenes Buch draus und bringt unters Volk) ist eigentlich ungebrochen.
Aber.

 

Aber dann sollte man es tunlichst vermeiden, Leseproben wie die zu dem Projekt "Es wird dich rufen" als Füllmaterial in die Pakete zu stecken, die man uns anliefert. Ich habe das Ding heute auf der Heimfahrt studiert und den Mund nicht mehr zu gekriegt vor Staunen über so viel Unverschämtheit.

 

Oder gibt es wirklich unterschiedliche Qualitäts-Standards, eine für "echte" Buchproduktionen und eine für BoD-Hobby-Werke? - Fakt ist, mit einer Leseprobe wie dieser wäre Herr "Simon Cross" auf dem Fanfiction-Board verrissen worden.

Der Zusammenhang: Es handelt sich offenbar um ein "multimediales" Projekt: Die Firma "BlueScreen Entertainment", die hauptberuflich unter anderem für Werbefilmchen und "fiktionale Spielszenen" in Dokumentationen verantwortlich zeichnet (was einiges erklärt) hat diesen "Abenteuerroman" zusammen mit dem Hörbuch unters Volk gebracht und will ihn im kommenden Jahr auch gleich verfilmen - das Rundum-Sorglos-Paket sozusagen. Garniert offenbar mit großzügigen Rabatten (50% zu Lesungen) und Werbeauftritten - und etlichen begeisterten Rezensionen bei Amazon.

Die Leseprobe: Es fehlen Kommas. Mehrmals. Mir (mir! der Frau, in deren Texten Füllwörter und Adjektive rudelweise auftreten!) sind in jedem dritten Satz zu viele Adjektive. Die ganze Szenerie läßt sich zusammenfassen mit "wie Lieschen Müller sich eine Verschwörung im Kloster vorstellt". Ein muffiger, von Kerzen (!) schwach erleuchteter Saal - voller Bücher, "die zum Teil viele hundert Jahre alt" sind. Klar. Weil man nämlich geheime Säle klösterlicher Geheimbündner auch im 21ten Jahrhundert nie und nimmer mit Elektrizität ausstatten würde - schon gar nicht Säle voller zerbröckelnder, kostbarer alter Bücher, für die schon feuchte Handflächen eine Gefahr darstellen.

Aber geht ja noch weiter. Jung-Mönch (in brauner Kutte) tritt auf und wird - ganz geheimbündnerisch-Marktsprech-mittelalterlich; man weiß offenbar, was sich gehört - mit "Ihr" angeredet. Etwa zwanzig Zeilen weiter ist man dann plötzlich per Sie. Der Alt-Mönch (Großmeister! Und in schwarzer Kutte, vermutlich, damit man die beiden Schauspieler auf dem Bildschirm später besser unterscheiden kann...) flucht zweimal ganz ungeniert und ohne Bedenken. Der Jung-Mönch darf sich dafür mit einem flippigen "Geht klar!" aus der Szene verabschieden.

Mein Lieblingssatz aus der Leseprobe war aber: "Eine lange schwarze Robe verbarg seinen fülligen Körper nur unzureichend." - Nackte Tatsachen im Kloster, mal anders ...

 

In Summe: Wow. Irgendeinen Ghostwriter angeheuert (und keinen guten), um aus dem Drehbuch zum Film vorab schnell etwas Romanähnliches zustande zu bringen, das man vermarkten kann.

Wenn man bedenkt, daß diese Leseprobe ja Leute anlocken soll ...

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